Endlich auch Blitzer auf Sardinien – dachte ich mir einst.
Raubritter und Wegelagerer – diese finsteren Gesellen sind zum Glück längst Geschichte. Es gibt sie allenfalls noch als Spektakel auf Mittelaltermärkten. Oder? Schön wär’s. Die Erben der Raubritter treiben nach wie vor auf unseren Straßen ihr Unwesen. „ Jede/r kennt sie und manch eine/r von uns ist ihnen auch schon zum Opfer gefallen. Neuerdings begegnet man ihnen auch vermehrt auf Sardinien. Dort haben sie allerdings keinen leichten Stand; denn Sarden lassen sich nur ungern abzocken und wissen sich zu wehren. Wie Sie sehen werden, schrecken sie dabei auch vor unkonventionellen Methoden nicht zurück. Es geht, Sie ahnen es sicher schon, um die Auswüchse der Verkehrsüberwachung, um die Blitzer auf Sardinien. Weil es richtig und wichtig ist, Raser und Rowdies zur Raison zu bringen, gibt es seit ein paar Jahrzehnten Geschwindigkeitskontrollen. Das kennen wir, das heißen wir wohl alle gut. (Ich kann mich daran erinnern, dass ich in der Anfangszeit die Installation eines jeden Blitzers mit einem anerkennenden „Endlich, das wurde auch Zeit“ quittiert habe.)
Info: Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Sardinien (Stand 2022)
Auf Sardinien beträgt die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit, falls nicht durch Verkehrsschilder anders angezeigt:
50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften
30 km/h in verkehrsberuhigten Zonen
90 km/h auf Landstraßen und Schnellstraßen
Ausnahme: Auf der Schnellstraße 131 darf man teilweise bis zu 110 km/h schnell fahren.
Auf bevorstehende Geschwindigkeitskontrollen wird durch entsprechende Schilder hingewiesen. Verstöße werden je nach Geschwindigkeit mit Bußgeldern von mindestens 15 und bis zu 680 Euro geahndet.
(Quelle zu den Geschwindigkeitsbegrenzungen: https://www.bussgeldrechner.org/verkehrsregeln-italien.html)
Leider sind diese Zeiten vorbei. Zu loben gibt es kaum noch etwas; denn heute geht es den Behörden immer seltener um die Erhöhung der Verkehrssicherheit; was erhöht werden soll, sind die Kassenbestände. Blitzer sind zum Finanzierungssystem für klamme Kommunen verkommen. Sie werden kaum noch an Verkehrsbrennpunkten platziert, sondern dort, wo es sich besonders erfolgreich abkassieren lässt. Als schämte man sich des Vorgehens, werden sie bei uns möglichst unauffällig gestaltet und verdeckt aufgestellt.
Als brave Bundesbürger murren wir zwar darüber, aber wir wehren uns nicht. Anders in Italien. Hier haben die Bürger Regularien durchgesetzt. So ist es zum Beispiel unzulässig, Geschwindigkeitsmessungen verdeckt durchzuführen. Getarnte Blitzer wie bei uns sind verboten. Jede Kontrollstation muss dem Autofahrer vorab angezeigt werden und dessen Notwendigkeit begründet sein. Ist sie das nicht, hat man als armer Verkehrssünder vor Gericht gute Chancen.Mit der Gerichtsbarkeit stehen die Sarden aber traditionell auf Kriegsfuß, weil die Geschichte sie gelehrt hat, dass Richter nicht ihre, wohl aber die Freunde ihrer Feinde sind. Streitfälle trägt man lieber ohne sie aus. So auch in diesem Fall:
Werden Sardiniens Blitzer zur Zielscheibe?
Ich war nicht überrascht, als ich 2015 auf der Schnellstraße von Olbia nach Nuoro eine dieser Blitzer-Vorankündigungen fand. Allerdings irritierte mich das kleine Schildchen „media“ darunter. Hier sollte also nicht geblitzt, sondern die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einer bestimmten Strecke gemessen werden. „Unglaublich“, dachte ich, „diese Methode ist bei uns noch in der Erprobungsphase, und hier arbeiten die schon damit. Du musst jetzt also Tempo 90 durchhalten. So ein Mist!,“ Kurz danach stand dann da auch der Mast mit der auffälligen Kamera oben drauf, die den Beginn der Messzone markierte. Ein paar Kilometer hinter der Ausfahrt nach San Teodoro folgte sein Gegenstück. Im Herbst des folgenden Jahres stand die Anlage zwar noch immer, aber irgendetwas stimmte daran nicht. Auf der Spitze des Mastes fehlte die Kamera! Irgendein erboster Bürger hatte ihr mit einem gezielten Schuss aus dem Schrotgewehr den Garaus gemacht. Das überraschte mich nicht. Selbstjustiz hat in Sardinien eine lange Tradition, und unerwünschte Messstationen sind beliebte Zielscheiben verärgerter Jäger.
Was diesen Fall bemerkenswert macht, ist nicht die Gewehrsalve. Die ist nur für Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig. Als ich von meinen Freunden mehr über die Hintergründe erfahren wollte, erzählten sie mir eine hanebüchene Geschichte, die sich wohl am besten mit dem Begriff “Provinzposse” umschreiben lässt.Protagonisten der Posse waren gewitzte Verkäufer auf der einen, behäbige Beamte auf der anderen Seite..Erstere hatten der Gemeinde San Teodoro die Anschaffung der neumodischen Blitzeanlage schmackhaft gemacht: Ihre Bereichskontrolle werde der Gemeinde jährlich einen Millionenbetrag in die Kasse spülen, ohne dass dafür viel getan werden müsse. Die Installation und den Betrieb der Anlage würde gegen geringe Gebühr die Firma erledigen. Die Gemeinde bräuchte nur noch nur ein Konto für die zu erwartenden Millionen einzurichten“Toll”, dachten die Gemeindeväter, “Geld für Nichtstun”, wandten dann aber ein, dass ihre Bürger die Anlage missbilligen könnten.
Findige Verkäufer sind nie um ein Argument verlegen. Verschmitzt lächelnd präsentierten sie eine Skizze, die den geplanten Verlauf der Bereichsmessung auf der Landkarte darstellte. Kein Bürger aus San Teodoro müsse sich sorgen, erklärten die pfiffigen Vertreter. Zwischen den beiden Messpunkten der kontrollierten Strecke befinde sich doch die Ausfahrt nach San Teodoro. Wer dorthin wolle oder von dort komme, müsse an dieser Stelle abbiegen. Das bedeute, dass er nur an einem der zwei Messpunkte erfasst werde. Damit aber falle man zwangsläufig aus dem Messraster heraus. Gut für die Bürger von San Teodoro, schlecht für alle anderen Als dann auch noch dem Sohn eines der Entscheidungsträger ein Arbeitsplatz versprochen wurde, war der Deal perfekt. Die Anlage wurde gebaut und ging in Betrieb. Die Lira rollte. So lange, bis die oben erwähnte Schrotflinte dem Spuk ein Ende setzte.
Das gefährliche Leben der Blitzer auf Sardinien
Der Schuss traf doppelt ins Schwarze: Nachdem er zum einen die Anlage außer Gefecht gesetzt hatte, musste zum anderen gegen Unbekannt ermittelt werden. Dabei konnte zwar nicht der Täter ermittelt werden, , stattdessen kam aber ans Licht, dass San Teodoro keinerlei Recht gehabt hatte, die Anlage zu installieren. Anstelle des unbekannten Schützen wurde die Gemeinde verurteilt: Es setzte eine satte Millionenstrafe, ein paar Köpfe rollten und alle Bußgelder mussten zurückgezahlt werden.
Meine sardischen Freunde freuten sich besonders darüber, dass auch der Schütze sein Bußgeld zurückerhalten hat. Verraten werde ihn niemand. Er sei ein „bravo amico“ und habe den Wegelagerern die einzig richtige Lektion erteilt. Außerdem habe er im Interesse aller gehandelt. Ob ich das etwa bestreiten wolle?
Ich bin ihnen die Antwort bis heute schuldig geblieben. Sardiniens Blitzer sind wohl ein Fall für sich.
Mit einem sardischen “Adiosu” verabschiedet sich für heute
Joachim Waßmann